Würdigung des Beitrags von Elmar Kober durch die FDP im Europaparlament

Sehr geehrter Herr Kober,

Nicola Beer
Abgeordnete
Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments

Herr Kollege Glück hat mir Ihre Email zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Anleihekaufprogramm der EZB mit der Bitte weitergeleitet, Ihnen zu antworten, da ich Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss (ECON) des Europäischen Parlaments bin, in dem unter anderem auch dieses Urteil thematisiert und seine Nachwirkungen noch weiter besprochen werden.

Unsere Delegation der Freien Demokraten im Europäischen Parlament hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai mit großem Interesse aufgenommen und begrüßt die vorgenommenen Klarstellungen und Differenzierungen.

Wir teilen Ihre Ansicht, dass auf europäischer Ebene einige Fehlentwicklungen im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion sowie der Geldpolitik der EZB festzustellen sind. Die EZB wurde zunehmend von den Mitgliedstaaten – auch Deutschland – gedrängt, Probleme der Europäischen Union, insbesondere des Euroraums, über ihr Instrumentarium zu lösen, obwohl eigentlich die Mitgliedstaaten hätten handeln müssen. Dabei sind die gemeinsam verabredeten Grundsätze zur soliden Haushaltspolitik und Reformen in den Mitgliedstaaten immer mehr in den Hintergrund getreten. Umso härter trifft die Krise jetzt nunmehr dort, wo die wirtschaftliche Basis in den vergangenen Jahren nicht solide aufgebaut wurde.

Umso notwendiger ist es, mit dem Bundesverfassungsgericht darauf hinzuweisen, dass eine Vergemeinschaftung von Schulden in den Europäischen Verträgen ausgeschlossen ist und diese auch nicht über Anleihekaufprogramme der EZB vorgenommen werden darf. Insofern ist es richtig, auf die strikte Einhaltung des allein geldpolitischen Mandats der EZB zu pochen.  Sicherlich birgt hier das Bundesverfassungsgerichtsurteil auch Konfliktpotential, vor allem weil die Klarstellung bezüglich der Kompetenzabgrenzung der nationalen Verfassungsgerichte gegenüber dem Europäischen Gerichtshof umgehend für eine missbräuchliche Auslegung herhalten musste. Allerdings bin ich fest davon überzeugt, dass die Europäische Union jederzeit ihre eigenen Verträge einhalten muss, wozu gehört, dass alle europäischen Institutionen ausschließlich im Rahmen ihrer Kompetenzen handeln dürfen und die Einhaltung der Kompetenzen zu kontrollieren ist. Zu dieser Kontrolle gehört die Verhältnissmäßigkeitsprüfung, die dann, wenn vom Europäischen Gerichtshof nicht ausreichend vorgenommen, notfalls durch die nationalen Verfassungsgerichte erfolgen muss, damit sichergestellt ist, dass wirksamer Rechtsschutz bezüglich der Einhaltung der übertragenen Kompetenzen besteht. Dies stellt auch die Unabhängigkeit der EZB nach Art. 130 AEUV nicht in Frage, da diese Unabhängigkeit nur im Rahmen des von den Mitgliedstaaten übertragenen Mandats besteht, aber nicht bei dessen Überschreitung.

Insofern ist es nunmehr entscheidend, die unvollständige Grundlage der Verhältnismässigkeitsprüfung bezüglich des Anleihekaufprogramms PSPP zu ergänzen und dadurch die notwendige Transparenz hinsichtlich aller Auswirkungen, inklusive der für Steuerzahler und Sparer, herzustellen. Derzeit wird u.a. darüber diskutiert, ob die fehlenden Informationen für eine ausreichende Entscheidungsgrundlage durch die Deutsche Bundesbank gegenüber dem Deutschen Bundestag oder durch die EZB im Wege der Ergänzung ihres Jahresberichts gegenüber dem Europäische Parlament erfolgen soll.

Davon unabhängig ist die Frage zu diskutieren, ob und wie die Europäischen Verträge reformiert werden müssen. Welche Ziele wollen wir mit der Europäischen Union in den nächsten 15, 20 Jahren erreichen? Haben wir dafür die richtige Kompetenzverteilung oder braucht es schnellere und zielgerichtetere Entscheidungsprozesse und Arbeitsweisen? Welche Funktionen sollen Europäisches Parlament, Europäische Kommission und der Europäische Rat zukünftig erfüllen? Wie können wir die notwendigen Reformen in den Mitgliedstaaten konsequenter voranbringen? Hier kann man trefflich unterschiedlicher Meinung sein. Doch diese Diskussion muss offen und ehrlich in Europa geführt und Veränderungen gemeinsam entschieden werden. Hierin liegt eine große Chance, die Europäische Union mit dem Rückhalt der Bevölkerung zu modernisieren.

Seien Sie versichert, dass wir Freien Demokraten uns dieser Themen weiterhin annehmen und gerade auch für eine solide und verantwortliche Geld- und Wirtschaftspolitik eintreten werden. Uns ist daher wichtig, dass bei den aktuell mit Blick auf die COVID19-Krise diskutierten Programmen der EU die Vorgaben einer soliden Haushaltspolitik und notwendiger Reformen in den Mitgliedstaaten im Rahmen des sogenannten Europäischen Semesters beachtet werden und wir so zielgerichtet an einem besseren Europa arbeiten.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Nicola Beer